Kampagne gegen Hass, Hetze & Gewalt

In der Uniform steckt ein Mensch

25. September 2020

Susanne Aumann ist Mitarbeiterin beim Ordnungsamt der Stadt Aachen. Im Interview erzählt sie, was für sie Respekt und Wertschätzung bedeuten und wo ihr im Alltag Hass, Hetze und Gewalt entgegenschlagen.

Was bedeuten für Sie persönlich Respekt und Wertschätzung?
Susanne Aumann: Wertschätzung ist aus meiner Sicht untrennbar verbunden mit Respekt. Gerade bei der Arbeit im Ordnungsamt. Als Teil der Eingriffsverwaltung heißt das, auch in schwierigen Situationen, bei negativen oder belastenden Entscheidungen eine freundlich, sachliche Kommunikation auf Augenhöhe zu führen. Betroffene und Beschäftigte sind naturgemäß nicht einer Meinung, aber trotz dieses Interessenkonflikts respektvoll miteinander umzugehen, ist das Ziel. Und das ist keine Einbahnstraße!
Eine Stufe weiter geht dabei die Wertschätzung, also Anerkennung für diesen herausfordernden und anspruchsvollen Job. Das hängt auch mit der Wahrnehmung des Berufs in der Bevölkerung zusammen, was z. B. auch stark über Berichterstattung in den Medien beeinflusst wird.

Sie arbeiten im Öffentlichen Dienst, genauer gesagt im Ordnungsamt der Stadt Aachen. Warum haben Sie sich für diesen Bereich entschieden?
Susanne Aumann: Bei der Tätigkeit in der Kommunalverwaltung gibt es viele mögliche Wege. Ich habe mich 2016 für das Ordnungsamt entschieden, weil ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe und mich gegen Missstände auch im dienstlichen Kontext einsetzen wollte. Durch die tägliche Arbeit einen Beitrag für mehr Sicherheit und Ordnung in der eigenen Stadt zu leisten, ist mir wichtig. Dabei kümmert sich das Ordnungsamt nicht - wie öffentlich oftmals irrtümlich angenommen wird - "nur" um Parksünder. Die Vielfalt des Jobs fasziniert mich. Wir sorgen zum Beispiel für Sicherheit bei Veranstaltungen, die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen auf öffentlichen Straßen und Anlagen oder in Gaststätten, kümmern uns um Jugendschutz und nicht zuletzt auch federführend um die Eindämmung der Corona-Pandemie.

Wie hat sich die Arbeit in den vergangenen Jahren verändert?
Susanne Aumann: Das Arbeitsaufkommen der Ordnungsbehörden nimmt seit vielen Jahren kontinuierlich zu, während die Aufstockung der personellen Kapazitäten nicht analog gefolgt ist. Durch neue Gesetze und Verordnungen kommen fortlaufend neue Aufgaben hinzu, welche die vorhandenen Beschäftigten bewältigen müssen. Durch diesen Arbeitsdruck und auch durch mediale Berichterstattungen stehen Ordnungsämter heute stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Zudem gibt es steigenden Anforderungen an Erreichbarkeit, Flexibilität und insgesamt einen Wertewandel in der Gesellschaft. Auf der einen Seite ist ein Streben nach mehr Sicherheit zu verzeichnen, gleichzeitig nehmen wir Verrohungstendenzen, eine sinkende Hemmschwelle und zunehmende Respektlosigkeiten wahr. Dieses Spannungsfeld erschwert die tägliche Arbeit "im Amt" oder "auf der Straße".

Erleben Sie in Ihrem Alltag Hass, Hetze oder Gewalt?
Susanne Aumann: Leider ist Hass, Hetze und Gewalt bei der Arbeit im Ordnungsamt omnipräsent. Insbesondere in den letzten Monaten im Rahmen der Corona-Krise wurde die Aufgabenbewältigung durch solche Vorfälle begleitet. Während Teile der Bevölkerung gerade zu Beginn der Pandemie Verständnis oder sogar Dankbarkeit zeigten, nahmen Beleidigungen, Bedrohungen, Widerstände oder gar gewalttätige Übergriffe in Einsatzmaßnahmen im weiteren Verlauf zu. Zudem kommt die neue Rolle sozialer Medien: Wenn wir negative Entscheidungen treffen, z. B. Betriebe aufgrund gravierender Verstöße oder Unbelehrbarkeit zur Gefahrenabwehr schließen müssen, dann wird im Internet oftmals gegen das Ordnungsamt gehetzt, ohne dass den Betroffenen die Fakten bekannt sind. Shit-Storms und Hate-Speech im WWW gehören mittlerweile leider auch zu unserer Arbeit dazu.

Und gab es eine besonders ernste Situation, die Sie selbst oder eine Kollegin bzw. ein Kollege erlebt haben?
Susanne Aumann: Besonders heftige Situationen waren Übergriffe gegen kommunale Vollzugsdienstkräfte. Im April 2020 hat ein 17-jähriger Jugendlicher einem Mitarbeiter des kommunalen Ordnungsdienstes mit der Faust ins Gesicht geschlagen
Und erst letzten Monat wurde ein Mitarbeiter des Außendienstes in einem Einsatz verletzt, als der Betroffene ihn mutwillig angefahren hat. In diesen Momenten wird uns einmal mehr bewusst, wie gefährlich dieser Job ist.

Was kann der Dienstherr tun, um seine Beschäftigten vor Hass, Hetze und Gewalt zu schützen?
Susanne Aumann: Mitarbeiterschutz ist Chefsache. Dienstherren müssen für Schutz und Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz sorgen. Hilfreich ist ein ganzheitliches Konzept, welches die Aspekte Prävention, Deeskalation aber auch Bewältigung und Nachsorge vereint. Als unabdingbare Grundlage sollte dabei eine "Null-Toleranz-Erklärung" erfolgen, die auch öffentlich kommuniziert wird. Damit einhergehend sollte jeglicher Übergriff konsequent verfolgt werden, wobei in der Ahndung von Verstößen die Justiz eine wichtige Rolle spielt. Das Sicherheitskonzept Gewaltprävention der Stadt Aachen ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für ein solches Papier:
Da sich in der dynamischen Situation Hass, Hetze und (verbale) Gewalt zunehmend auch im Internet abspielt, sind darüber hinaus entsprechende Social-Media Strategien zur Krisenkommunikation unabdingbar, um als Behörde professionell und souverän auf Hate-Speech und Shit-Storms - welche sich oft auch gegen einzelne Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter richten - reagieren zu können.

Was kann jeder einzelne tun, um die Werte Respekt und Wertschätzung in der Gesellschaft zu stärken? Was ist Ihr Appell?
Susanne Aumann: Die lautesten Stimmen haben nicht immer automatisch Recht. Jeder kann klare Kante und Zivilcourage zeigen. Mir ist es wichtig, für Werte wie Gleichberechtigung, Toleranz, Vielfalt und Sicherheit einzustehen und das ist auch gleichzeitig mein Appell: Jeder verdient Respekt. Jeder sollte sich vor Augen führen, dass in der Uniform - sei es Ordnungsamt, Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst - Menschen stecken, die ihren Job machen. Erreichen können wir das aus meiner Sicht nur im Zusammenspiel mit Politik, Dienstherren, Justiz und Medien, mit dem Ziel Respekt und Wertschätzung zu einer Selbstverständlichkeit in der Gesellschaft zu machen.