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dbb Münster

Arbeitnehmervertreter-Treffen mit Bischof Felix Genn und neunte Fachtagung zum Thema „Sozialer Arbeiten – Besser leben? Was machen die skandinavischen Länder anders?“

  • Grosses Foto: 150 Arbeitnehmervertreter kamen zum Empfang von Bischof Felix Genn - Kleines Foto: Organisatoren und Plenumsgäste (von links) Antonius Kerkhoff, Leiter Franz-Hitze-Haus, Dr. Cornelia Heintze, Bischof Felix Genn, Michaela Evans und Dr. Martin Darbrowski - Fotos (2): dbb Münster
10. Mai 2022

„Es ist Aufgabe der Gesellschaft und der Kirche die Würde des arbeitenden Menschen zu schützen und zu bewahren.“ Mit diesen Worten aus der päpstlichen Sozial-Enzyklika „LABOREM EXERCENS“ begrüßte Münsters Bischof Felix Genn 150 Gewerkschaftsvertreter, Personal- und Betriebsräte zum 9. Arbeitnehmervertreter-Treffen, das am 9. Mai 2022 im Franz-Hitze-Haus Münster stattfand.

Seit dem Jahr 2012 lädt der Bischof Arbeitnehmervertreter zu einem Empfang und einem Fachgespräch ein.

 

Nach zweijähriger pandemiebedingter Pause, konnte das Treffen wieder in Präsenz durchgeführt werden. Die Veranstaltung wurde vom Bistum Münster und der Katholischen Bildungsakademie Franz-Hitze-Haus durchgeführt. Mitveranstalter waren der Kreisverband Münster des Deutschen Beamtenbundes, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Region Münsterland, die Diözesane Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (DIAG-MAV) im Bistum Münster und das Institut für Christliche Sozialwissenschaften.

Thema der diesjährigen Veranstaltung war „Sozialer Arbeiten – Besser leben? Was machen die skandinavischen Länder anders?“ Die Antwort ist einfach: Norwegen, Dänemark, Finnland, Island und andere nordische Länder haben andere Sozialsysteme, die die Bedürfnisse der Menschen besser wahrnehmen.

Für den Impulsvortrag, das Fachgespräch und die Podiumsdiskussion wurden drei Expertinnen eingeladen:

Michaela Evans
Direktorin des Forschungsschwerpunktes „Arbeit und Wandel“
Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen

Dr. Cornelia Heintze
Stadtkämmerin a.D., Politologin, Leipzig

Katharina Wesenick
Landesfachbereichsleiterin Gesundheit, Soziales, Bildung und Wissenschaft
ver.di NRW, Düsseldorf

In ihrem Impulsvortrag zeigte Dr. Cornelia Heinze die Unterschiede zwischen dem deutschen Sozialsystem und denen der nordischen Länder auf. Dabei machte sie deutlich, „dass man die erhobenen empirischen Daten nicht wegdiskutieren kann.“ Die Menschen in den skandinavischen Länder sind glücklicher (Glückindex der Vereinten Nationen – Deutschland Platz 16). In den genannten Ländern gibt es auch die geringste Erwerbsarmut („Working poor“). Seit den „Hartz 1 – 4 – Reformen“ im Jahr 2005 hat sich die Erwerbsarmut in Deutschland verdoppelt (2005: Wert 5,5; 2020: Wert 10,6). Auch die Armutgefährdungsquote In Deutschland  („Heute schlecht bezahlt – Altersarmut morgen“) hat sich von 12,0 (2005) auf den Wert 20,6 (2020) erhöht.

Altersarmut kann vermieden werden

Das Altersarmut verhindert werden kann, zeigt das dänisches Rentensystem. Dort berechnet sich die Rente unabhängig von der Höhe des Lohnes nach den Arbeitsjahren. Wer 40 Jahre gearbeitet hat, erhält die staatlich garantierte Höchstrente in Höhe von 2574,57 Euro monatlich. In Deutschland beeinflusst die Höhe des Gehaltes in massiver Weise die Höhe der Rente. Wer also in seinem Leben wenig verdient hat, dem droht die Altersarmut. Der OECD-Bericht 2021 zeigt, dass das Risiko der Altersarmut in Deutschland nahe doppelt so hoch ist, wie in den nordischen Ländern. Dr. Heintze nahm auch Stellung zu der in Deutschland geführten Diskussion rund um das schwedische Sozialsystem: „Nach Reformen in Schweden haben sich die empirischen Daten erheblich verschlechtert. Die Ursachen müssen noch erforscht werden. Aber das schwedische Modell sollte nicht Vorbild sein. Norwegen, Dänemark und andere Länder gehen einen besseren Weg.“

Tarifautonomie braucht starke Gewerkschaften

Gute Bezahlung benötigt starke Gewerkschaften und Tarifbindung. In Deutschland funktioniert in vielen Bereichen die Tarifautonomie nicht mehr. Auch geht der Anteil der Tarifbindung für die Beschäftigten immer mehr zurück. Betrug dieser im Jahr 1990 noch 85 Prozent, so ist er auf 51 Prozent im Jahr 2020 gefallen. So verdienen in den Gesundheitsberufen die Beschäftigten mit Tarifvertrag rund 4 Euro mehr pro Stunde als das Beschäftigen ohne Tarifbindung. Deutlich wird das auch beim gewerkschaftlichen Organisationsgrad. In Deutschland besteht ein Wert von 16, in den nordischen Ländern weit über 60. Starke Gewerkschaften, hohe Streikbereitschaft und Tarifbindung sind die drei Säulen für eine gute Bezahlung der Arbeitnehmer. Dort wo die Tarifautonomie nicht funktioniert müssen bestehende Tarifverträge von der Politik für allgemeinverbindlich erklärt werden.

Gute Gesundheit und gute Pflege sind bezahlbar

Auch in dem Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege gehen die skandinavischen Länder andere Wege. Bezogen auf 1000 Einwohner hat zum Beispiel Dänemark weniger Krankenhäuser, aber 50 Prozent mehr Personal als in Deutschland. In jeder Stadt gibt es sogenannte „Chroniker-Zentren“, die präventiv abreiten und viele Krankenhausaufenthalte vermeiden. In diesen Zentren sind viele examinierte Kräfte und weniger Ärzte tätig. Das ein sehr gutes Gesundheitssystem nicht teuer sein muss, zeigt auch hier der Vergleich der nordischen Länder mit Deutschland. Während Deutschland pro Einwohner 4659 Euro ausgibt, kommen die skandinavischen Länder mit Kosten zwischen 3200 – 4000 Euro je Land und Einwohner aus. Ein Kostentreiber ist dabei die Verwaltungskosten, die z.B. in Deutschland 206 Euro und in Finnland 27 Euro pro Einwohner ausmachen.

Frau Dr. Heintze zog am Ende Ihres Vortrages folgendes Fazit:

  • Hohe Beschäftigung muss nicht mit einem hohen Anteil von „Working poor“ erkauft werden
  • Ein würdiges Leben mit sozialer Teilhabe für Arbeitslose ist möglich Vermeidung von Altersarmut braucht gute Löhne und einen wirksamen Sozialausgleich
  • Universalistische Finanzierung des Wohlfahrtsstaates ist resilienter und sozial gerechter, hat aber eine hohe Staatsquote und Steuermoral zur Voraussetzung
  • Hohes Beschäftigungsniveau bei sozialen Diensten ist eine der Bedingungen für gutes Leben
  • Gute Arbeit und gute Löhne nicht ohne eine hohe Tarifbindung

Hohe Tarifbindung braucht starke Gewerkschaften und/oder staatliche Ersatzmaßnahmen. Katharina Wesenick brachte es auf den Punkt: „In Deutschland wird die Arbeit am Auto in der Werkstatt besser bezahlt als die Arbeit am Menschen“

Betroffene kommen zu Wort und sind dankbar gehört zu werden

In der anschließenden Podiumsdiskussion äußerten sich Teilnehmer, die im Bereich Gesundheit und Pflege tätig sind. Hierbei wurde insbesondere der Personalmangel beklagt. Rund 300.000 Beschäftigte haben in den vergangenen Jahren dem Beruf den Rücken gekehrt und gekündigt. Hierbei wurden Lücken gerissen, die mit dem jetzt tätigen Personal nicht aufgefangen werden können. Und dies hat Folgen. Statistiken zeigen, dass in den Bereichen, in denen eine Pflegekraft mehr als sieben Patienten zu versorgen hat, die Sterblichkeit steigt. Deswegen benötigt es mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Würden sich diese verbessern, dann würden auch wieder viele Pflegekräfte in ihren alten Beruf zurückkehren.

Bischof Felix Genn betonte abschliessend die Worte aus der Sozial-Enzyklika „LABOREM EXERCENS“:

  • Arbeit gehört zum Leben des Menschen, ist Teil seiner Entwicklung und gibt ihm Würde
  • Arbeit muss sinnvoll sein
  • Es muss eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit geben
  • Es bedarf einer menschlichen Führung und nicht zuletzt
  • Es muss Chancen- und Leistungsgerechtigkeit geben.

Skandinavische Länder können Vorbild für Deutschland sein

Viele Teilnehmer zeigten sich begeistert über das Fachgespräch und die Podiumsdiskussion. Es ergaben sich viele neue Ideen, die es umzusetzen gilt, damit insbesondere die Gesundheits- und Pflegeberufe wieder attraktiv werden und neues Personal gewonnen werden kann. Hier müssen Gesellschaft, Politik und Arbeitgeber bessere Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und umsetzen. Die skandinavischen Länder sind hier Vorbilder.

Das Organisations-Team nahm den Dank gerne entgegen. Und auch der Zeitpunkt der Veranstaltung war gut gewählt. Die derzeit stattfindenden Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst zeigen, dass die Arbeitgeber den Ernst der Lage nicht verstanden haben. Applaus in Corona-Zeiten schafft keine gerechte Bezahlung und keine guten Arbeitsbedingungen.

Danksagung

Ein großer Dank gilt Dr. Martin Dabrowski, der in den letzten 10 Jahren die Organisation der Veranstaltungen und die Moderation der Podiumsgespräche durchführte. Durch seine Arbeit hat er maßgeblich zum Erfolg der Veranstaltungsreihe beigetragen. Im September 2022 wird Herr Dr. Dabrowski das Franz-Hitze-Haus verlassen und an neuer Stelle in München tätig werden. Der DBB Kreisverband Münster wünscht ihm viel Gesundheit und Erfolg an der neuen Wirkungsstätte.

Presseberichte

Ausblick

Das nächste Arbeitnehmervertreter-Treffen mit Bischof Felix Genn wird am 8. Mai 2023 stattfinden. Wenn im Jahr 2023 die pandemische Lage enden sollte, kann die Zahl der Besucher wieder erhöht werden. In diesem Jahr musste die Zahl der Teilnehmer von 300 auf 150 reduziert werden.


Veranstaltungen in den Vorjahren:

2012  
1. Fachtagung
„Strategien für Arbeitnehmervertreter/innen zur Organisation von Solidarität unter Arbeitnehmern“

2013  
2. Fachtagung
„Prekäre Beschäftigungsverhältnisse“

2014  
3. Fachtagung
„Altersgerechte Arbeitsplätze“

2015
4. Fachtagung
„Berufliche Weiterbildung: Wunsch und Wirklichkei"

2016  
5. Fachtagung
„Digitalisierung der Arbeitswelt und Crowdworking"

2017
6. Fachtagung
„Psychische Belastungen am Arbeitsplatz"

2018  
7. Fachtagung
„Mein „Frei‘ gehört mir!“ - Wem die freie Zeit wirklich gehört“

2019
8. Fachtagung
„Wer kümmert sich um uns? Fachkräftemangel im sozialen Bereich“

2020 und 2021
fand wegen der Corona-Pandemie kein Arbeitnehmervertreter-Treffen statt

2022
9. Fachtagung
„Sozialer Arbeiten – besser Leben? Was machen die skandinavischen Länder anders?"

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