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Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen

Teilweise erfolgreiches Organstreitverfahren wegen unvollständiger Zuleitung von Akten an den „PUA IV – Kindesmissbrauch“

21. April 2021

Der Minister des Innern und der Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen haben einen Beweisbeschluss zur vollständigen Vorlage von Akten an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss IV der 17. Wahlperiode des nordrheinwestfälischen Landtags „PUA IV – Kindesmissbrauch“ teilweise nur unzureichend umgesetzt und insoweit die sich aus der Landesverfassung ergebenden Rechte der Ausschussminderheit verletzt.

Das hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster mit einem heute – nach mündlicher Verhandlung am 23. März 2021 – verkündeten Urteil entschieden.
Der „PUA IV – Kindesmissbrauch“ hat den Auftrag, mögliche Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Landesregierung und weiterer ihrer Aufsicht unterliegenden Behörden im Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche insbesondere auf einem Campingplatz in Lügde zu untersuchen, aufzuklären und Schlussfolgerungen zu ziehen.

 

Zu diesem Zweck forderte der Untersuchungsausschuss im Juli 2019 unter anderem bei den Ministern des Innern und der Justiz die in ihren Geschäftsbereichen vorhandenen Akten, Schriftverkehr, Berichte und sonstigen Unterlagen an, die mit dem Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang stehen. Die Minister nahmen daraufhin eine Schätzung des in ihren jeweiligen Ressorts einschlägigen Aktenmaterials vor und wiesen den Untersuchungsausschuss auf die Notwendigkeit hin, einen wirksamen Schutz der persönlichen Daten der betroffenen Privatpersonen (Opfer und deren Angehörige) zu gewährleisten. Über die Frage des erforderlichen Datenschutzes und dessen Auswirkungen auf die Aktenvorlage kam es zu unterschiedlichen Auffassungen. Im November 2019 verständigten sich die Minister und der Untersuchungsausschuss auf ein Verfahren, mit dem zugleich die Rechte der Betroffenen angemessen geschützt und die Arbeitsfähigkeit des Untersuchungsausschusses gewährleistet werden sollte: Die Minister sollten die aus ihren Geschäftsbereichen vorzulegenden Akten unter Einbindung einer vom Landtag zu benennenden Treuhänderin pseudonymisieren und anschließend dem Ausschuss zuleiten. Unabhängig davon forderte der Untersuchungsausschuss jedoch weiterhin die Vorlage gänzlich unbearbeiteter Originalakten.
Die Antragstellerin, die im PUA IV eine qualifizierte Minderheit bestehend aus den fünf stimmberechtigten Mitgliedern der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bildet, hat im November 2020 vor dem Verfassungsgerichtshof ein Organstreitverfahren gegen die Minister des Innern und der Justiz eingeleitet und zwei Anträge gestellt. Mit ihrem ersten Antrag begehrt sie die Feststellung eines Verfassungsverstoßes der Minister dadurch, dass sie dem Untersuchungsausschuss einen wesentlichen Teil der angeforderten Akten nicht zugeleitet haben. Mit ihrem zweiten Antrag macht die Antragstellerin einen Verfassungsverstoß insoweit geltend, als die Minister dem Untersuchungsausschuss ganz überwiegend keine unbearbeiteten Originalakten zugeleitet haben; auszunehmen seien nur Akten, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar sei.
Mit dem heute verkündeten Urteil hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die Minister teilweise das aus Art. 41 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 LV folgende Recht der Ausschussminderheit auf vollständige Aktenvorlage an den Untersuchungsausschuss verletzt haben.
In ihrer mündlichen Urteilsbegründung führte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Dr. Ricarda Brandts aus:
Hinsichtlich des ersten Antrags, mit dem die Antragstellerin die in quantitativer wie in zeitlicher Hinsicht unzureichende Vorlage sämtlicher vom Beweisbeschluss erfasster Akten rügt, hat der Organstreit in Teilen Erfolg:

Der Minister des Innern habe das Recht auf Aktenvorlage dadurch verletzt, dass er dem Untersuchungsausschuss diejenigen Dokumente nicht vorgelegt habe, die er unter Hinweis auf die Übersendung insbesondere durch den Minister der Justiz den Akten entnommen und durch Fehlblätter gekennzeichnet habe. Diese bis zuletzt unterlassene Vorlage der Aktenbestandteile sei nicht in einer Weise begründet worden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer Vorlageverweigerung genüge.
Der Minister der Justiz habe Organrechte der Antragstellerin verletzt, weil er die ebenfalls vom Beweisbeschluss erfassten sogenannten Spurenakten und weitere Vorgänge der Staatsanwaltschaft Detmold nicht vorgelegt habe. Diese mit dem Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang stehenden Dokumente habe der Justizminister zwar noch in seiner ersten Schätzung aller vorhandener Akten benannt, später jedoch nicht mehr bei seiner Aktenbearbeitung und -lieferung berücksichtigt. Der Untersuchungsausschuss habe auch zu keinem Zeitpunkt auf deren Vorlage verzichtet.
Weitere Verfassungsverstöße bestünden darin, dass der Minister der Justiz den Anforderungen an eine genügende Rechtfertigung der eingetretenen Verzögerungen und an eine dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue entsprechende rücksichtsvolle Kommunikationsbeziehung zum Untersuchungsausschuss nicht in vollem Umfang gerecht geworden sei. Unzureichend sei seine Darlegung, auf die jedenfalls ab Frühsommer 2020 erkennbaren Verzögerungen bei der Aktenbearbeitung angemessen organisatorisch reagiert zu haben. Dass er einer erkannten Fehlentwicklung nicht frühzeitig etwa durch eine Verstärkung des mit der Pseudonymisierung befassten Personals hätte entgegenwirken können, sei nicht hinreichend substantiiert begründet worden. Außerdem habe der Minister der Justiz den Untersuchungsausschuss nicht ausreichend über die im Laufe der – äußerst aufwendigen – Pseudonymisierung eingetretenen Verzögerungen und deren Folgen informiert. Die ursprünglich mitgeteilte Prognose für die Aktenbearbeitung sei jedenfalls ab einem im Sommer 2020 liegenden Zeitpunkt nicht mehr haltbar gewesen. Die danach unzweifelhaft eingetretene Verzögerung der Vorlage der Akten insbesondere der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts Detmold sei nicht in einer nachvollziehbaren und plausiblen Weise kommuniziert worden.

Im Übrigen habe der Verfassungsgerichtshof keinen Verfassungsverstoß der Minister feststellen können.
Den zweiten Antrag habe die Antragstellerin nicht fristgerecht beim Verfassungsgerichtshof gestellt. Er sei daher unzulässig.
Artikel 41 Absatz 1 Satz 1 und 2 LV
Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich erachten.
Artikel 41 Absatz 2 LV
Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet. Sie sind insbesondere verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen nachzukommen. Die Akten der Behörden und öffentlichen Körperschaften sind ihnen auf Verlangen vorzulegen.
Aktenzeichen: VerfGH 177/20

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